Ein Probenbesuch (13.12.2015)
Kulturprojekte mit Flüchtlingen sprießen in letzter Zeit aus dem Boden. Meist steht dabei die Integration der Kinder, Frauen und Männer, die aus einem der vielen Krisengebiete der Welt fliehen mussten, im Vordergrund. Anders bei dem Tanzprojekt „Bewegte Interaktion“ in Wien, das mit jungen Männern aus Afghanistan und Syrien arbeitet. Hier geht es um Kunst, um den Tanz an sich. Und das merkt man schon nach den ersten Minuten bei dieser Probe an einem sonnigen Sonntagnachmittag im Dezember. Denn hier wird gearbeitet – konzentriert, engagiert, miteinander. Eine ganz normale Tanzprobe eben. Dass im Raum mindestens fünf Nationalitäten vertreten sind, gebrochenes Deutsch die vorherrschende Sprache ist und manche Dinge einfach gezeigt werden, anstatt sie lange zu verbalisieren, fällt nach wenigen Minuten gar nicht mehr auf. Und wäre es vielleicht auch nie, wenn man nicht wüsste, dass es sich um ein ‚Flüchtlingsprojekt’ handelt, denn eigentlich ist das der ganz normale Alltag in einer Tanzkompanie, die Tänzer und Tänzerinnen aus aller Herren Ländern vereint und in der das wohlbekannte ‚imperfect English’ die selbstverständliche Sprache ist.
Dies ist mein erster Probenbesuch bei Sayed, Veronika und den sieben Tänzern. Die Stimmung ist gut, ich schaue in lachende Gesichter. Lange Zeit zum Reden bleibt nicht, Sayed drängt darauf die Probe anzufangen.
Laute, stark rhythmische Musik füllt den Raum. Die Tänzer beginnen mit Aufwärm- und Kraftübungen. Verschiedenes wird hier geprobt – Aufmerksamkeit, Beweglichkeit, Raumgespür, Kraft und immer wieder der Fokus. Die Gesichter schwanken zwischen Konzentration und zufriedenem, manchmal auch stolzem, Lächeln. Die Energie der Tänzer füllt den ganzen Raum aus und scheint diesen fast zu sprengen. Zu klein und beengt ist dieser Wiener Altbau plötzlich. Er hält den Tanz in sich gefangen, der dennoch durch manche kleine Ritze nach draußen zu dringen versteht und neugierige, verblüffte Blicke vorbeistreifender Passanten in die Fenster lockt. Es lässt sich erahnen, welches Potential da schlummert, das nur darauf wartete sich in einem freien Raum Bahn zu brechen. Bis ins kleinste Detail wird an den Schritten gefeilt. Ein ‚ungefähr’ reicht Sayed bei weitem nicht aus. Er kennt seine Tänzer, ihre Möglichkeiten und lässt sie nicht eher gehen, bis die Grenzen ausgelotet sind. Er will die tänzerischen Grenzen erweitern, so, wie sich der Raum nach außen drängt.
Als Zuschauerin bleibe ich ein Beobachtungsposten am Rand. Ich darf als Mäuschen spicken und werde langsam aber sicher hineingezogen in diese Stimmung aus Fokus und Rhythmus. Fast atemlos folge ich der Arbeit von Sayed, Veronika und ihren Tänzern, vergesse die Zeit und kann mich nur schwer losreißen aus diesem Wiener Altbau, der für ein paar Stunden eine eigene Welt beherbergt.
Über die Choreografie sei nichts verraten. Die Spannung soll bleiben. Zu erwarten gibt es Einiges.
Ein Probenbesuch des Teams vom Wissenschaftskommunikationsprojekt „Tanz und Migration“ (Austrian Science Fund (FWF): WPK 32), Autorin: Anja K. Arend
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